Fingerzeig für „Soko Linx“

Die „Soko LinX“ nutzte auch Dossiers von Neonazis für ihre Ermittlungen gegen Antifaschist*innen.

Open Your eyes, time to wake up: Enough is enough is enough is enough…

In Deutschland werden jeden Tag fünf Menschen Opfer rechter Gewalt, das waren allein 2022 2871 Personen. Es ist von einer viel höheren Zahl auszugehen, da viele Betroffene vor Kontakt mit deutschen Behörden zurückschrecken, weil sie auch dort Rassismus erlebt haben oder schlicht kein Vertrauen in deren Agieren haben – viel zu oft zurecht. Im Moment eskalieren Angriffe auf Geflüchteten-Unterkünfte und Menschen auf der Flucht wieder, manche*r fühlt sich an die frühen 1990er Jahre erinnert, als nach der sog. Wiedervereinigung Deutschlands rassistische Pogrome und rassistische Gewalt durch die Decke gingen. Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Mannheim stehen dafür synonym, das Wort Baseballschlägerjahre hat sich für diese Zeit etabliert.

Mit Blick auf das zum Terrorprozess hochgejazzte Verfahren gegen Lina E. und andere vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden stellt sich die Frage, ob mit den eben genannten Zahlen der „friedliche politische Meinungskampf“ im Lande gemeint sein könnte, den gestört zu haben den Angeklagten zur Last gelegt worden war.

Zu den Angriffen, deretwegen die vier Verurteilten im „Antifa Ost-Verfahren“ angeklagt waren, gehört auch der auf die Thüringer Neonazi-Combo „Knockout 51“, die zu jener Zeit die Stadt Eisenach terrorisierte. Der mutmaßliche Anführer Leon Ringl steht seit dem 21. August 2023 selbst vor Gericht als einer der Gründer dieser Schlägerbande, zu deren erklärten Zielen auch die Tötung von Gegner*innen aus dem linken Spektrum zählte, wie es in der Anklage der Bundesanwaltschaft vom 28. April 2023 heißt. „Friedlicher Meinungskampf“.

Fest angestellte Linksextremist*innen 

Ende Mai 2023 war der „Antifa Ost-Prozess“ mit fragwürdigen Schuldsprüchen und hohen Haftstrafen zu Ende gegangen.

Um so ein spektakuläres Linksextremismus-Verfahren im Land des rechten Terrors wunschgemäß über die Bühne zu bringen, nahm man es mit Unschuldsvermutung und stichhaltigen Beweisen dann auch nicht so genau und präsentierte on top noch einen schmierigen, durch ein Sexualstrafverfahren in die Bredouille geratenen mutmaßlichen Mittäter als Kronzeugen im Zeugenschutz. Sein Name ist oder vielmehr war Johannes Domhöver.

Ein bestimmtes Segment von Boulevard und rechten Medien zwischen der „BILD“ und rechten Propagandist*innen jeder Couleur entfaltete im Kontext dieses Prozesses einen munteren Austausch oder kollegialen Klau von Detailinformationen, Fotos und geschützten Daten aus der Ermittlungsakte. Verbindungen und Muster ermöglichten spekulativ ein ganzes Netzwerk von Antifa-Straftäter*innen zu konstruieren. Schließlich galt es wieder einmal, die Chimäre der Antifa-Weltverschwörung an ihre Kellerwände zu malen.

Allen voran „Einprozent“ um den neurechten Gschaftlhuber [1] Philipp Stein und die faschistoide Publikation „Sezession“, wo Streberleiche Benedikt Kaiser seinen Rosenkranz vom „Nur wir sehen die Flammenschrift“ runterbeten konnte. Kaiser bezieht sich standesgemäß auf das rechte Yuppie-Blatt „Junge Freiheit“ und das Magazin „Freilich“ aus dem deutsch­-österreichischen Braunsaum, aber eben auch auf „BILD“-Aussteiger Reichelt und sein steindummes Projekt „pleiteticker“.

Da darf natürlich auch der unvermeidliche Jürgen Elsässer nicht fehlen, der den großen Rahmen schon 2018 in einem Antifa-Spezialheft seines braunen Hetzblattes „Compact“ abgesteckt hat, den ganz großen Rahmen: „Jetzt wäre eine antifaschistische Bewegung notwendiger als je zuvor – denn die Corona-Diktatur marschiert. Das Parlament ist ausgeschaltet, es regiert ein handverlesenes Politbüro. Die Grundrechte sind suspendiert: Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung – alles weg“.

Wie lange kann man Ignazio Silones berühmten Spruch „Der neue Faschismus wird nicht sagen, ich bin der Faschismus – er wird sagen, ich bin der Antifaschismus“ [2] , mit dem das völkisch-nationalistische Magazin sein Sonderheft bewirbt, noch verdrehen, bis er einem ins Konzept passt? Dabei kann sich der ultra-rechte Publizist Elsässer den Spruch auf den Arsch tätowieren lassen, denn genau er ist gemeint, wenn er dem „echten“ Antifaschismus, der ihm und seinen faschistoiden Schwurbler*innen gefälligst zu Hilfe eilen möge, nachjammert.

Degoutant wird es vollends, wo Elsässer, um Antifa zum mythisch Bösen aufzublasen und mit den teuflischen Mächten „da oben“ in Verbindung zu bringen, Hannah Arendt mit ihrem jedoch auf den NS bezogenen Diktum vom „Bündnis aus Mob und Eliten“ verwurstet.

Endlich sind die Terroristen weg

Aber wo „Compact“ von „deutschem Antifa-­Terror“ und „Antifa-Terroristen“ spricht, triggert es weit über seine völkisch-nationalistische Bubble hinaus ein wahrhaftes Lust-Trauma der Deutschen: die RAF und den linken Terrorismus.

Es muss ja nun nicht gleich so bodenlos wie auf dem Twitter-Kanal „Dokumentation Linksextremismus“ kommen, wo das Foto einer Tatverdächtigen neben eines der RAF-Mitgründerin Gudrun Ensslin gestellt und wegen der ähnlichen Frisuren beider Frauen eine Gesinnungstradition behauptet wird. Aber die RAF-Reminiszenzen im bundesrepublikanischen Blätterwald sind ohnehin meist gehörig übergeschnappt: Wenn sich Klimaschützer zivilen Ungehorsams bedienen, droht dann schon gleich die „Klima-RAF“, wenn Verfassungsschutz und Polizei den Neonazi-Mörder*innen vom NSU nicht auf die Schliche kommen wollen, salbadern sie schon gerne mal von einer „braunen RAF“. Es wird hier voller Elan ein Mythos aufgerufen, der in der Regel auf keines der Vergleichsobjekte zutrifft.

Eher schon die Klima-Aktivist*innen selbst sind von Killern bedroht, wenn sie sich auf die Straße setzen und von rabiaten Petromaskulist*innen angegriffen, verprügelt und – wie bereits geschehen – fast totgefahren werden. Kommt da die „Fossil-RAF“?

Und der widerliche Rassismus und Antisemitismus des NSU spottet schon ideologisch jedem Vergleich mit der historischen RAF. Damals auch gerne „Baader-Meinhof-­Bande“ genannt und mit undurchdringlichem Sympathisant*innen-Sumpf phantasiert wie heute die „Hammer-­Bande“, der dann schon gerne auch gleich alle anderen ähnlichen Straftaten „zugerechnet“ werden. Egal, „Welt plus“ zitiert denn auch genüsslich das BKA, dass man eine so professionelle Vorbereitung von Straftaten „letztmalig zu Zeiten der RAF festgestellt“ habe, Bingo!

Um aber den neuen Antifa-Sumpf trockenzulegen, scheint es dann natürlich legitim, zum Großkampfeinsatz des Lina-­Chaos-Tages in Leipzig einen völlig irren Polizeikessel mit 1000 Leuten, darunter viele Minderjährige, über viele Stunden ohne Versorgung aufrecht zu halten und fast 400 Smartphones als Beweismittel einzukassieren: Wenn‘s um links geht, darf‘s gern ein bisschen mehr sein.

Auch wird für das wüst aufgebauschte Problem des „Linksextremismus“ analog zur „Soko Rex“ in Sachsen die „Soko Linx“ bereitgestellt, welche sich nicht lange bitten lässt, ihre fragwürdigen Methoden zu präsentieren: die Anti-Antifa-Arbeit von zwei weiteren im „Antifa Ost-Prozess“ als „Opferzeugen“ auftretenden Neonazis von „Knockout 51“ resultierte in Dossiers über Linke, die die beflissenen Helfer der Polizei gleich an die „Soko Linx“ weiterreichten [3] . Die „Soko Linx“ bediente sich allen Ernstes der Ergebnisse der braunen Sammelleidenschaft in ihren Ermittlungen gegen Lina E. Und nach dem Triumph der „Soko Linx“ wurde sie gleich mit einer Aufstockung um zehn Beamt*innen belohnt.

Bist Du Anti-Antifa, bist Du Fa

Wofür diese Exekutivkräfte gebraucht werden? Zum Beispiel für den Fall eines 28-jährigen Neonazis aus Chemnitz, der von vermummten Tätern angegriffen und schwer verletzt wurde. Die Täter, die sich abfällig über sein Nazi-Outfit geäußert hätten, schlugen ihm drei Finger mit einer Machete ab. Das müssen Linksextremist*innen und Antifas gewesen sein, da waren sich der Betroffene, der Staatsschutz und die einschlägigen Deppen-­Portale wie auf Twitter „DokumentationL(inksextremismus)“ mal wieder einig.

Nur passt die Machete nicht ins Bild, um den Fall auch gleich noch der „Hammerbande“ anzudichten. Aber so gewitzt ist auch die „Soko Linx“ nicht, dass sie diese Steilvorlage noch zum verdienten Antifa-­Terror verwandelt hätte: Die Geschichte ist wohl erstunken und erlogen, ein Bekannter des „Opfers“ soll ihm – warum auch immer – die Finger abgehackt haben. Nun ja. Funfact dazu: Sie wurden in einem Braunglas-Container gefunden.

Jedenfalls stehen für jede dieser Geschichten, von denen es einige gibt, immer genügend Alarmist*innen bereit, um die „unterschätzte Gefahr“ des „Links­extremismus“ oder „linken Terrors“ oder die Wiederkunft der RAF zu beschwören.

„Welt plus“ grub einen der zahlreichen Extremismus-Expert*innen aus, um die geleugnete Gefahr aufrufen zu lassen: „Wenn es um Antifa beziehungsweise Antifaschismus geht, gibt es oft eine gewisse Beißhemmung. Da meinen viele, das sind doch die, die eigentlich das Gute wollen, aber leider manchmal in ihren Mitteln über das Ziel hinausschießen. Deswegen ist es schon wichtig, sich klarzumachen, dass bei linksextremistischer Antifa nicht nur die Mittel das Problem sind, sondern das Ziel es ist, nämlich eine andere Republik“ [4] , sagt er und fragt sich nicht, ob der Wunsch nach einer anderen Republik nicht vielleicht ein verbrieftes Recht innerhalb einer demokratischen Verfassungsordnung sein könnte. Ist halt nicht sein Fachgebiet.

Jedenfalls, um auf braune Fake-News zurückzukommen: Dieser Extremismus-­Experte bemüht zum Beweis der zunehmenden Gewaltbereitschaft von Linken und Antifas den alten Fall des Bremer AfD-Mannes Frank Magnitz. Nun wissen zumindest AIB-Leser*innen schon lange [5] , dass Magnitz sich damals schnell in ziemliche Widersprüche verwickelte und von einem Kantholz halluzinierte, das gegen seinen Kopf eingesetzt worden sei, von – ja, von wem? – Antifas natürlich.

Dunkles Kapitel  

Ganz ähnlich wie Magnitz 2018 sah jetzt kürzlich auch der AfD-Politiker Andreas Jurca aus Augsburg aus: Zwei gleichmäßig zugeschwollene Augen seien Ergebnis eines frühmorgendlichen Angriffs auf seine Person gewesen, der von „Südländern“ gegen ihn und einen Bekannten ausgeführt worden sei. Mit „Südländern“ haben es Jurca und seine Partei einfach nicht so. Inzwischen haben sich aber doch so viele Fragen und Widersprüche in dem wohl inszenierten Setting ergeben, dass eine Anzeige – wie in Chemnitz – wegen „Vortäuschen einer Straftat“ auch gegen Jurca selber läuft. Der anzeigende saarländer (nicht südländer) Aktivist äußert massive Zweifel an Jurcas Schilderung des Hergangs und meint, da stimme etwas nicht, wie damals bei Magnitz. Wenn dem so sei, so der Anzeigende, dann läge mit der Verdächtigung von Migranten auch noch „Volksverhetzung“ vor.

Um was ging‘s? Ach ja, linker Terror

  • 1 bairisch, umgangssprachlich: Jemand, der sich in übertriebener Weise wichtig macht, durch geschäftiges Tun in den Vordergrund stellt, aber eigentlich nichts zustande bringt
  • 2 www.jungle.world/artikel/2020/05/silones-warnung
  • 3 www.akweb.de/politik/tag-x-urteil-im-lina-e-prozess-im-zweifel-gegen-di…
  • 4Der von „Compact“ als „Professor für politischen Extremismus“ und von Welt+ als „Extremismus-Experte“ betitelte Zitatgeber ist Dozent im „Fachbereich Nachrichtendienste – Abt. Verfassungsschutz“.
  • 5 Framing mit Kantholz: www.antifainfoblatt.de/artikel/framing-mit-dem-kantholz

zuerst erschienen im AIB 140

https://antifainfoblatt.de/aib140/fingerzeig-fuer-soko-linx